Gottes Sohn – Mensch für uns / Hirtenwort zur Österlichen Bußzeit 2025

 

 

„DIESER IST MEIN AUSERWÄHLTER SOHN, AUF IHN SOLLT IHR

HÖREN.“ (Lk 9,35)

Liebe Geschwister im Glauben! Wer die eigenen Wurzeln kennt,

kann wachsen und Herausforderungen gut bestehen. Das gilt im

Leben genauso wie im Glauben. Mit diesem Hirtenwort möchte ich

Ihre Aufmerksamkeit auf das Bekenntnis des Glaubens lenken, das in

seinen Grundzügen vor genau 1.700 Jahren formuliert wurde und

wenige Jahrzehnte später die Gestalt annahm, die seitdem als das

„Große Glaubensbekenntnis“ dem Leben der Kirche und einzelnen

Gläubigen tragfähige Wurzeln für ihren Weg durch die Zeit gibt. Den

Text finden Sie im Gotteslob (586.2) in deutscher und lateinischer

GOTTES SOHN – MENSCH FÜR UNS

HIRTENWORT

zur Österlichen Bußzeit 2025

von Dr. Georg Bätzing, Bischof von Limburg

Sprache. Ursprünglich war das „Nizänische Glaubensbekenntnis“

in Griechisch verfasst, und das hat mit seiner Entstehung zu tun.

RINGEN UM EINHEIT NACH DER KONSTANTINISCHEN WENDE

Konstantin der Große hatte sich als erster römischer Kaiser offen

auf die Seite der Christen gestellt und mit der Vereinbarung von

Mailand im Jahr 313 n. Chr. die lange Zeit der Christenverfolgungen

beendet. Er unterstützte die Kirche mit finanziellen Zuwendungen,

hatte sich offensichtlich auch persönlich zum christlichen Glauben

bekehrt und stärkte die Rolle der Bischöfe. Gewiss war seine Absicht

nicht nur rein religiöser Natur. Politisch wollte er die Einheit

des Römischen Reiches durch die Einheit der Kirche stützen.

Diese aber war durch einen eskalierenden Streit gefährdet. Die

Auseinandersetzung war um 318 im ägyptischen Alexandrien ausgebrochen

und verbreitete sich wie ein Flächenbrand. Der Priester

Arius bestritt die Göttlichkeit Jesu Christi in der Absicht, die Einheit

und Unvergleichlichkeit Gottes schützen zu wollen, die sowohl ein

Erbe des biblischen Gottesglaubens Israels als auch ein Erbe der

griechischen Philosophie war. Daher könne der Sohn Gottes nicht

ungeschaffen von Ewigkeit her beim Vater existieren, er sei nicht Gott

gleich, sondern Gottes erstes und vollkommenes Geschöpf, dessen

sich Gott für die Erschaffung der Welt und für seine Beziehungen

zu den Menschen bediene. Arius und seine Anhänger waren bibelkundig

und philosophisch hoch gebildet und wollten mit ihrer Lehre

die christliche Botschaft an die denkerischen Standards ihrer Zeit

angleichen. Eine Menschwerdung Gottes erschien ihnen geradezu

als eine naive Vorstellung. Viele der damaligen gebildeten Zeitgenossen

teilten diese Auffassung. Auch nachdem Arius von seinem

Bischof aufgefordert worden war, beim gemeinsamen Fundament

des christlichen Glaubens zu bleiben, weitete sich der Konflikt aus.

Kaiser Konstantin war alarmiert und ergriff die Initiative, um die

Kontroversen durch eine erste gesamtkirchliche Synode beizulegen.

So kamen im Frühsommer des Jahres 325 etwa 250 Konzilsteilnehmer

unweit der damaligen Kaiserresidenz in Nizäa zusammen,

das ist das heutige Iznik in der türkischen Provinz Bursa. Die Synode

wurde in Anwesenheit des Kaisers und der Legaten des Bischofs

von Rom eröffnet und verurteilte nach intensiver Diskussion die

Position des Arius und seiner Anhänger, indem es seine eigene

Lehrmeinung in Gestalt eines Glaubensbekenntnisses formulierte.

WAS WIR VON JESUS CHRISTUS GLAUBEN

Den Kern dieses Bekenntnisses bildet die Aussage: Jesus Christus,

der Sohn, ist aus dem Wesen des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus

Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen,

dem Vater wesensgleich. Die letzte Formulierung – „wesensgleich“

– entstammte nicht der Bibel, sondern nahm Sprache und Denken

der griechischen Philosophie in Dienst, um die biblische Rede vom

Sohn Gottes davor zu bewahren, bloß als bildhafte Aussage missverstanden

zu werden, die aber keine Wirklichkeit abbildet.

Auch wenn der Streit um den sogenannten „Arianismus“ nach

den Festlegungen des Konzils von Nizäa noch lange weiterschwelte,

so hat sich doch auf Dauer die Entscheidung dieser ersten Synode

als maßgebend für den Glauben aller christlichen Konfessionen

durchgesetzt und bildet so eine wichtige gemeinsame Grundlage.

WIE NIZÄA CHRISTLICHES LEBEN BIS HEUTE PRÄGT

Es war im Übrigen nicht die einzige verbindliche Festlegung von

Nizäa: Auch der Termin des jährlichen Osterfestes wurde damals

auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühjahr festgelegt

– und an diesem Kalendertag feiern wir Ostern bis heute, in diesem

Jahr glücklicherweise gemeinsam mit der orthodoxen Christenheit.

Im Jubiläumsjahr des ersten gemeinsamen Konzils ist es deshalb

sehr zu begrüßen, neue Initiativen zu unterstützen, die sich für eine

gemeinsame Osterfeier aller Christinnen und Christen zum selben

Termin starkmachen. Vermutlich steht auch die Festlegung des

Weihnachtsfestes auf den 25. Dezember durch Kaiser Konstantin

mit dem Konzil von Nizäa in Verbindung und darf als Ausdruck

und „äußere Feier“ des Bekenntnisses zu Jesus Christus als dem

wahren Gott und wahren Menschen verstanden werden.

ZURÜCK ZU DEN URSPRÜNGEN – ZURÜCK ZU CHRISTUS

Liebe Geschwister im Glauben, sollte es mir gelungen sein, bis hierher

Ihre Aufmerksamkeit zu finden, so hoffe ich auch auf Ihr Interesse

für die Frage, warum es für uns heute wichtig sein kann, sich mit

einem Ereignis zu beschäftigen, das 1.700 Jahre zurückliegt. Gibt

es über ein geschichtliches Interesse hinaus auch eine Bedeutsamkeit

der damaligen Ereignisse und Entscheidungen für uns Christinnen

und Christen heute? Ja, die gibt es allein schon deshalb, weil wir

als Gläubige vom Ursprung her leben und weil die Kenntnis der

Ursprünge uns hilft, uns selbst besser zu kennen. Ich habe es persönlich

immer bereichernd erlebt, mich intensiv mit meinem Glauben

zu beschäftigen und die Aussagen über den dreifaltigen Gott,

die Kirche, Erlösung und Vergebung, das Doppelgebot der Gottesund

Nächstenliebe, Gebet und Sakramente und die großartige Perspektive

des verheißenen ewigen Lebens tiefer zu entdecken. Und

wenn es um Jesus Christus geht und das, was wir von ihm glauben,

dann geht es schließlich um den zentralen Kern des Christentums.

CHRISTUSGLAUBE IN HEUTIGER ZEIT

Von daher macht es mir Sorgen, wenn bei der 2023 veröffentlichten

Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung die Zustimmung der

Befragten zur Aussage: „Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der

sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat“ im Vergleich zu

vorherigen Befragungen dramatisch gesunken ist. Unter den katholischen

Kirchenmitgliedern bejahen heute 32 Prozent diese Aussage.

Man mag dies für eine Auswirkung zunehmender säkularer Entwicklungen

insgesamt halten, wonach für immer mehr Menschen

die Existenz Gottes mehr oder weniger bedeutungslos geworden

ist. Aber mit der Verdunstung einer personalen Vorstellung von Gott

geht offenkundig auch eine bedenkliche Ausdünnung zentraler christlicher Glaubensinhalte einher.

Jede Generation von Christinnen und Christen, ja jede und jeder

Einzelne von uns sollte die Frage beantworten können: Wer war

Jesus Christus wirklich? Und wer ist Jesus? Vorbild, Prophet, der

Rabbi aus Nazaret, eine prägende Gestalt der Weltgeschichte: Diese

und andere Beschreibungen stoßen weit über die Grenzen der Kirche

hinaus nach wie vor auf viel Sympathie, auch das belegen Umfragen

immer wieder. Aber reicht das aus, um als Mensch ein Leben lang

mit dem Glauben an Jesus Christus unterwegs sein zu können und

mit dem Glauben an ihn gut zu leben und gut zu sterben?

AUS DEM VATER GEBOREN VOR ALLER ZEIT –

FÜR UNS MENSCHEN UND ZU UNSEREM HEIL

Athanasius von Alexandrien gilt als einer der bedeutendsten

Bischöfe und Theologen des vierten christlichen Jahrhunderts. Gleich

zweimal war er bereit, für das Bekenntnis von Nizäa aus Ägypten

bis ans damalige Ende der Welt – nämlich nach Trier – in die Verbannung

zu gehen. Er blieb bei seinem Glauben und trug für die

Entscheidung von Nizäa drei tiefere Begründungen vor: Wäre

Christus, der Sohn, nicht Gott, dann hätte er uns Menschen Gott

auch nicht offenbaren können, wie er ist. Er wäre bloß einer in der

Reihe der Mittlergestalten und Propheten; er könnte etwas von Gott

mitteilen, aber nicht Gott selbst. Und wäre nicht Gott selbst Mensch

geworden, dann hätte sich durch das Leben, die Verkündigung des

Reiches Gottes, das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu

nicht wirklich etwas zum Heil aller Menschen erlösend und befreiend

verändern können. Wir wären mit unserem Glauben an eine neue

und echte innere Freiheit und ein neues Gottesverhältnis, das von

Sünde und Schuld geheilt werden konnte – wir wären mit unserem

Glauben auf dem Holzweg. Und schließlich argumentiert der Kirchenlehrer

Athanasius: Wäre Jesus Christus nur ein Geschöpf und

nicht wirklich Gottes Sohn, dann wäre es Götzendienst, zu ihm zu

beten, vor ihm die Knie zu beugen und ihn anzubeten. Das persönliche

Gespräch mit Jesus und jede Gebetsanrufung im Gottesdienst

hätten vielleicht einen reinigenden und motivierenden psychologischen

Effekt, darüber hinaus aber könnten sie niemals eine echte

Verbindung schaffen zwischen uns Menschen und Gott, dem

Ursprung, dem tragenden Grund und dem Ziel unseres Lebens. Ich

finde diese gewichtigen Argumente nach wie vor sehr überzeugend.

KULTUR DER SYNODALITÄT UND DAS GEMEINSAME

CHRISTLICHE ZEUGNIS

Über die damals so dringliche Frage nach dem Wesen und

Ursprung unseres Erlösers hinaus, lohnt sich der Blick auf das Konzil

von Nizäa auch aus anderen Gründen: Dieses bedeutende Ereignis

zeigt nämlich, dass es im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder

Auseinandersetzungen um wesentliche Fragen des Glaubens, um

grundlegende sittliche Einstellungen und um die Ausrichtung der

Kirche im Blick auf die Gegenwart gegeben hat. Konflikte und Diskussionen

gehören dazu. Wir können sie auch heute führen und

unsere Anfragen stellen im Vertrauen darauf, dass die Kirche schon

früh begonnen hat, eine Kultur und Strukturen von Synodalität zu

entwickeln, um so miteinander zu ringen, dass der Glaube vertieft

und weiterentwickelt werden kann und dabei die Einheit der Kirche

gewahrt bleibt oder gar wiedergefunden wird. Die Ergebnisse der

Weltsynode 2021– 2024 zum Thema „Synodalität“, die nun auf

allen Ebenen der Weltkirche beherzt umgesetzt werden sollen,

stehen mithin in einer langen und guten Tradition.

Damals war es vor allem ein Anliegen des römischen Kaisers, dass die

Kirche im Bekenntnis zu Jesus Christus nicht auseinanderbricht. Und

es ist nicht grundsätzlich anmaßend, wenn eine solche Erwartung

an die Kirche herangetragen wird. Die Einheit ist nach wie vor das

entscheidende christliche Zeugnis in den Augen vieler Menschen.

Jesus selbst hat ja gebetet, „alle sollen eins sein, […] damit die Welt

glaubt“ (Joh 17,21). Ich erfahre das häufig im Gespräch mit gesellschaftlichen

Gruppen und politischen Verantwortungsträgerinnen

und Verantwortungsträgern. Auch wenn sie nicht persönlich glauben,

so setzen sie doch darauf, dass wir Christinnen und Christen uns

im Sinne Jesu über alle konfessionellen Grenzen hinweg für

Gerechtigkeit in der Welt, für den Zusammenhalt der Menschen

und für Orientierung aus grundlegenden Werten und Haltungen

einsetzen. Daher ist das ökumenische Bemühen um größere

Gemeinsamkeit und sichtbare Einheit heute auch so bedeutsam.

SCHÖNHEIT UND STIMMIGKEIT DES GLAUBENS

Ihnen allen, liebe Geschwister im Glauben, danke ich für alles Engagement

für den christlichen Glauben und das kirchliche Leben in

unserer Zeit und vor allem für Ihr persönliches Zeugnis. In diesem

Jubiläumsjahr möchte ich Sie ermutigen, über Ihren Glauben an

Jesus Christus persönlich und gemeinschaftlich nachzudenken. Was

bedeutet Ihnen Jesus Christus? Wie gelingt es Ihnen, die Aussagen

des Glaubensbekenntnisses mit Leben und Relevanz zu erfüllen?

Und wenn Sie beten, wie sprechen Sie mit Jesus? Wenn ich das

„Credo“ mitvollziehe, dann empfinde ich dabei nicht nur etwas

von der tiefen Stimmigkeit des Glaubens, auch seine Schönheit

rührt mich an. Gerade das Große Glaubensbekenntnis ist ja ein

einziger Lobpreis auf Gott – und darum wird es zu Recht meistens

gesungen, nicht bloß gesprochen; denn unser lebendiger Glaube

ist ja selbst die grundlegende Weise unseres Gottesdienstes.

Für Sie und alle, die mit Ihnen verbunden sind, erbitte ich Gottes

reichen Segen im Namen des + Vaters und des Sohnes und des

Heiligen Geistes. Amen.

Limburg, zum 2. Fastensonntag 2025

Ihr Bischof

Georg Bätzing

 

Hinweis: Ab dem 2. Fastensonntag findet man auf der Bistumsseite www.bistumlimburg.de auch Gebärdenfassung, Übersetzungen und eine Hörfassung.

Der gedruckte Hirtenbrief, der nach den Gottesdiensten verteilt wird, enthält auch eine Fassung in Leichter Sprache.