Damit die Seele aus dem Einsatz kommt

Sebastian Schindler vom Malteser Hilfsdienst berichtet im Interview von der Hilfe für die Helfer

Sebastian Schindler (27) ist als ausgebildeter Rettungssanitäter beim Malteser Hilfsdienst (MHD) in Frankfurt tätig. Im Rahmen seines ehrenamtlichen Engagements für die Malteser in der Diözese Limburg ist er stellvertretender Diözesanreferent für die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). In der Flutkatastrophe wurde er als Fachberater für das Projekt „Malteser Fluthilfe 2021“ berufen und mit der operativen Leitung der PSNV für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland betraut. Dafür ist er in seinem Hauptberuf derzeit freigestellt. Mit einem Team hat er in kurzer Zeit ein mehrteiliges Nachsorgekonzept für die Einsatzkräfte entwickelt.

Warum brauchen die Helfer Hilfe?

Unmittelbar nachdem wir erste Rückmeldungen aus den von der Flut betroffenen Gebieten erhalten haben, wussten wir, dass wir mit einem erhöhten Bedarf an Psychosozialer Unterstützung rechnen müssen. Die Unübersichtlichkeit der Lage, die unglaubliche Zerstörung, der Einsatz von so vielen Kräften und auch die sich schon abzeichnende Einsatzlänge waren eine immense Herausforderung. Die Helferinnen und Helfer haben dort Dinge erlebt und gesehen, auf die sie niemand vorbereiten konnte und die weit über das hinausgehen, was ich mit Worten oder anhand von Beispielen schildern kann und möchte. Auch für mich ist das immer wieder unvorstellbar. Nichts tun zu können, kann dabei auch belastend sein: Im Chaos der ersten Tage waren Einheiten angefordert worden, die nicht zum Einsatz kamen und untätig ausharren mussten, während der immense Hilfebedarf rundum sichtbar war und sie völlig erschöpfte Einsatzkräfte zurückkehren sahen. Wenn man das Leid unmittelbar vor Augen hat und nicht verhindern kann, lässt das nicht selten große Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht entstehen.

Welche Auswirkungen können diese Erlebnisse haben?

Grundsätzlich löst das Erleben einer solchen Einsatzsituation normale Stressreaktionen aus, jedoch ist die konkrete Ausprägung absolut individuell. Gefühle wie Ruhe- und Rastlosigkeit bis hin zum Wiedererleben von Bildern, Geräuschen oder Gerüchen aus dem Einsatzgeschehen können hier eine Rolle spielen. Wenn den Menschen zu diesem Zeitpunkt keine Erklärungsmodelle angeboten werden für das, was sie gerade bei sich erleben, kommt es möglicherweise zu einer Art Dauerstress. Negative Auswirkungen auf Gesundheit, Familie und Beruf wären die Folge, welche ihrerseits eine Erkrankung nach sich ziehen können. Die PSNV setzt genau hier an. Wir wollen dabei unterstützen, zu verhindern, dass aus der „normalen Stressreaktion“ eine längerfristige Erkrankung wird.

Wie genau werden die Einsatzkräfte unterstützt?

„…damit deine Seele aus dem Einsatz kommt“: Unter diesem Titel machen wir auf verschiedenen Ebenen leicht abrufbare Angebote, die im Alltag umgesetzt werden können. Herzstück ist die „Hotline für Einsatzkräfte“, welche unter der Telefonnummer 02 21/98 22 95 57 für alle Einsatzkräfte rund um die Uhr erreichbar ist. Diese Hotline bestand schon vorher, wir haben sie personell aber noch einmal verstärkt und offensiv beworben. Beim ersten Anruf eines Hilfesuchenden wird der konkrete Bedarf und die Erreichbarkeit geklärt. Innerhalb weniger Stunden erfolgt ein Rückruf von geschultem Fachpersonal. Manchmal genügt dann ein Telefongespräch, manchmal braucht es einen persönlichen Kontakt. Das geht bis hin zur Vermittlung von psychotherapeutischer Hilfe. An erster Stelle steht immer die Frage: Was möchtest Du, dass ich dir tun soll?
Rückkehrenden Einheiten boten wir – durch die Malteser Rottenburg – abends um 18 Uhr über die Plattform Teams einen digitalen Einsatzabschluss an. Dort gibt es Wertschätzung für den Einsatz und erste Impulse, um wieder gut Zuhause anzukommen. Diese und weitere Anregungen für Hilfe zur Selbsthilfe finden sich auch auf der Postkarte, die wir allen Helfenden aushändigen. Man kann sie sich in die Tasche stecken oder Zuhause an die Pinnwand heften. Mittels des aufgedruckten QR-Codes sind die Angebote unkompliziert erreichbar.

Wissen alle davon?

Das war die erste Frage, die wir uns gestellt haben: Wie erreichen wir die Einsatzkräfte? Die Helfenden müssen wissen, dass es ein Angebot gibt, dass sie auf einfachstem Wege Hilfe bekommen können. Deswegen machen wir es auf verschiedenen Kanälen ständig publik, natürlich auch in den sozialen Medien, schließlich reden wir hier mehrheitlich von 18- bis 30-Jährigen. Ich telefoniere meinerseits jede Menge Leute ab, spreche mit den Einsatzleiterinnen und Einsatzleitern, die wiederum ihrerseits ihre Teams informieren und die Angebote der Einsatznachsorge proaktiv bewerben.

Wie wird die Hilfe angenommen?

Wir konnten das in der Kürze der Zeit noch nicht abschließend auswerten, zumal das Angebot in dieser umfassenden Form erst seit kurzem existiert. Es gibt aber täglich Anfragen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich gerade die Einheiten als Erste melden, zu denen persönliche Kontakte bestehen. Man darf nicht unterschätzen, dass es da auch eine große Hemmschwelle gibt. Dieses Eingeständnis „Ich brauche Hilfe“ ist ein großer Schritt und alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Es gibt deswegen auch die Möglichkeit, bei Nutzung der Hotline anonym zu bleiben. Wichtig ist bei alldem, dass wir niemandem Hilfe aufdrängen wollen und dürfen.

Wann sollten Helfer denn Hilfe in Anspruch nehmen?

Da möchte ich mich auf das beziehen, was Marita Wedi, eine unserer Psychologinnen, dazu sagt: Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten, weil Menschen individuell sind und sehr unterschiedlich auf Stress reagieren. Jeder trägt seinen eigenen Lebensrucksack mit persönlichen Erfahrungen. Was für den einen massiven Stress bedeutet, kann für den anderen leicht zu bewältigen sein. Allgemein könnte man vielleicht sagen: Ich sollte mir frühestmöglich Unterstützung suchen. Insbesondere dann, wenn ich den Eindruck habe, mich überfordern die Eindrücke eines Einsatzes nachhaltig und meine Bewältigungsfähigkeiten dafür sind am Limit angekommen. Sich dann Unterstützung zu suchen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut und Lebenskraft.

Weitere Informationen:
Malteser Hilfsdienst e.V.
Region HRS, PSNV Fluthilfe
Mail: psnv.hrs@malteser.org
Telefon: 0 64 31/94 88 190.

Foto: privat/Interview: Barbara Reichwein, Bistum Limburg