Konsequent und umfassend Missbrauch verhindern

Bistum stellt Ergebnisse des erfolgreichen Implementierungsprojekts vor

Pressekonferenz zur Vorstellung der Implementierungsergebnisse mit (von links): Pressesprecher Stephan Schnelle, Bischof Dr. Georg Bätzing, Claudia Burgsmüller (Vorsitzende der UKO) und Dr. Dr. Caspar Söling (Bischöflicher Beauftragter für die Implementierung der Maßnahmen).

In den vergangenen drei Jahren sind in der Diözese 42 von insgesamt 64 Maßnahmen umgesetzt worden, die mehr als 70 Expertinnen und Experten im Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern im Bistum Limburg“ entwickelt haben. 16 weitere Maßnahmen werden bis Anfang 2024 umgesetzt. Insgesamt sechs Maßnahmen werden bundesweit synodal oder von der deutschen Bischofskonferenz weiter bearbeitet. Nur drei Maßnahmen sollen nicht umgesetzt werden. „Die Implementierungsphase endet und das bedeutet, wir sind jetzt dabei, die Strukturen wirklich mit Leben zu füllen, die wir verändert haben. Das heißt nicht, der Kampf gegen Missbrauch endet, sondern er beginnt jetzt wieder neu, weil wir versuchen, diese Strukturen auch nachhaltig zu verändern“, sagte Bischof Dr. Georg Bätzing bei der Vorstellung der Implementierungsergebnisse Anfang September im Limburger Bischofshaus.

Das Projekt und die Maßnahmenumsetzung knüpfen an die sogenannte bundesweite MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch von Klerikern in der katholischen Kirche an, die im September 2018 veröffentlicht wurde. „Die MHG-Studie offenbarte, wie die Verbrechen von sexuellem Missbrauch über Jahrzehnte von Bischöfen und Verantwortlichen abgewiegelt, verharmlost und vertuscht worden sind, um vorgeblich ‚Schaden‘ von der Kirche abzuwenden“, stellte Bätzing klar. Heute wisse man, dass dieses Handeln falsch gewesen sei und Betroffenen Aufmerksamkeit und Ressourcen vorenthalten worden seien. „Die Kirche hat sich schuldig gemacht und Menschen großes Unrecht angetan. Dafür bitte ich auch heute alle Betroffenen um Verzeihung“, so Bätzing.

Bundesweit einmaliges Projekt

Im Bistum Limburg habe es nach der Veröffentlichung der MHG-Studie eine intensive Auseinandersetzung damit gegeben. Dies habe dazu geführt, dass im April 2019 unter Beteiligung aller diözesanen Gremien das Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ beschlossen wurde. Auftraggebende waren Ingeborg Schillai, die ehemalige Präsidentin der Limburger Diözesanversammlung, und der Bischof gemeinsam. Für Bätzing ist dieses Novum wichtig, da es deutlich mache, dass Aufarbeitung die intensive Arbeit und die Verantwortungsübernahme vieler und nicht allein des Bischofs brauche. Ein weiteres Novum des Bistumsprojektes war, dass die Untersuchung nicht bei einer juristischen und historischen Aufklärung stehen blieb, sondern sich den systemischen Faktoren stellte, die Missbrauch begünstigt hatten. Damit ist gemeint, dass ein Täter nicht alleine schuldig ist, sondern seine Tat meist auch in begünstigenden Rahmenbedingungen geschieht. Im Projekt seien 64 sehr konkrete Maßnahmen entwickelt und vorgeschlagen worden, die Missbrauch verhindern, Betroffenen Gehör verschaffen und zu einer adäquaten Kommunikation mit ihnen führen sollten. Dies sei bislang bundesweit einmalig. „Das Besondere an unserer Studie war: Wir beschränken uns nicht auf juristische historische Aufklärung, sondern wir nehmen Systemursachen an und beauftragen Expertinnen und Experten, uns zu sagen, mit welchen Maßnahmen man diesen systemischen Faktoren gegensteuern kann. Das war der Auftrag des Projektes „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ in unserem Bistum“, sagte Bätzing.

Maßnahmen größtenteils umgesetzt

Dr. Caspar Söling, der Bischöfliche Beauftragte für die Implementierung der Maßnahmen, stellte die Ergebnisse des Umsetzungsprozesses vor und erklärte, wie er strukturiert und organisiert war. „Die Implementierung der Maßnahmen konnte nur gelingen, weil sie vom Bischof und den Verantwortlichen priorisiert wurde. Allen war klar, dass der Prozess nicht an den Rahmenbedingungen wie Zeit oder Geld scheitern durfte“, so Söling. Insgesamt gab es 64 Implementierungsmaßnahmen. Davon sind 42 bereits umgesetzt. Insgesamt 16 Maßnahmen werden noch in diesem Jahr beendet und sechs Maßnahmen werden synodal auf Bundesebene oder von der Deutschen Bischofskonferenz aktuell bearbeitet. Bei diesen sechs Maßnahmen handelt es sich unter anderem um die Einführung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtbarkeit, die Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualmoral und der damit verbundenen Neubewertung von Homosexualität. Es geht zudem darum, erweiterte Zugänge zum Weiheamt zu finden und darum, dass Homosexualität nicht länger ein Weihehindernis sein kann. Nur drei Maßnahmen werden nicht umgesetzt. Diese sind: eine Amtszeitbegrenzung für Pfarrer, die grundsätzliche Abschaffung des Zuschusses, der Priestern gewährt wird, wenn sie eine Haushaltshilfe haben sowie der Abbau von Formen von Klerikalismus in der Liturgie, der in der regulären Struktur des Bistums, das heißt von der Liturgiekommission, bearbeitet wird.

„Eine ganz zentrale Umsetzungsmaßnahme ist der Aufbau und die Etablierung der Fachstelle gegen Gewalt“, so Söling. Sie habe die Aufgabe, bestehende Präventions- und Hilfsangebote des Bistums zu bündeln, transparenter und erkennbarer zu machen. Die Fachstelle bearbeitet auch Themen wie spirituelle Gewalt und setzt sich für eine betroffenensensible Kommunikation ein. Sie soll zur zentralen Anlaufstelle werden, wenn es um das Thema sexueller Missbrauch geht. Hierfür wurden 5,5 Stellen zusätzlich geschaffen und die zentrale Informationsplattform SicherSein (Internet: sichersein.bistumlimburg.de) eingerichtet. „Unser Implementierungsprojekt zielte auf eine nachhaltige Kulturveränderung ab. Daher wird das Bistum jährlich im Sinne eines Complianceberichtswesen überprüfen und transparent machen, ob die Neuerungen wirklich wirken“, so Söling.

Unabhängige Kommission überprüfte Implementierung

„Als Unabhängige Kommission haben wir unsere Aufgabe erfüllt und den Implementierungsprozess überprüft“, erklärte Claudia Burgsmüller. Die Rechtsanwältin ist Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Limburg (UKO). „Allein im Jahr 2022 hat die Kommission 20 Maßnahmen genauer beleuchtet und dazu nicht nur die schriftlichen Arbeitsergebnisse von Implementierungsverantwortlichen durchgearbeitet, sondern die jeweiligen Verantwortlichen zu ihren Sitzungen eingeladen und kritisch befragt“, erklärte Burgsmüller. Die verschiedenen Professionen in der UKO seien dabei von großer Bedeutung gewesen. Inzwischen habe sich die Kommission mit fast allen Maßnahmen befasst. „In keinem anderen Bistum werden die sexuellen Missbrauch mitbedingenden strukturellen Ursachen in der kirchlichen Institution so konsequent und umfassend angegangen wie im Bistum Limburg“, resümierte Burgsmüller. Die im Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“ identifizierten Themen seien nicht in Schubladen verschwunden. Ihnen sei durch die Berufung des Bischöflichen Beauftragten und dessen Ausstattung mit den erforderlichen Ressourcen hohe Priorität eingeräumt worden. „Hervorzuheben ist schließlich auch der partizipative Ansatz, der in der katholischen Kirche wohl als besonders glaubwürdig bezeichnet werden kann“, sagte die Rechtsanwältin. Es seien nicht nur Verantwortliche für die jeweilige Implementierung bestimmt worden, sondern es seien Konzepte, Ordnungen, Fortbildungskurse in Arbeitsgruppen entwickelt worden.

Gelungenes Zusammenwirken

Besonders hob Burgsmüller die Auseinandersetzung des Bistums mit dem „brisanten Thema Sexualpädagogik“ hervor. Sie sagte: „Bei der Entwicklung von sexualpädagogischen Leitlinien wurde die Konfrontation mit der UKO durchgestanden und es sind Leitlinien verabschiedet worden, die wir als gelungenes Zusammenwirken bezeichnen können.“ Grundsätzlich seien alle Implementierungsmaßnahmen als zielführend zu begrüßen. Eine der aus Sicht der UKO wichtigsten Maßnahmen sei leider noch nicht umgesetzt: die externe Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche. „Es ist gut nachvollziehbar, dass das kleine Bistum Limburg keine eigene Ombudsstelle schafft, sondern dies gemeinsam mit dem Land Hessen auf den Weg bringt“, so Burgsmüller. Der 2023 aktualisierte „Landesaktionsplan des Landes Hessen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt“ lasse hoffen. Bei der Konzeptentwicklung für dieses Vorhaben werde die UKO auch künftig darauf achten, dass gewährleistet wird, die Perspektive von Kindern einzubinden.

Auf dem Weg zum systemsicheren Bistum

Burgsmüller machte zudem deutlich, dass die UKO ihre unabhängige Rolle auch künftig erfüllen werde. „Vielleicht gelingt es ja, das Vertrauen von Betroffenen zu gewinnen und zeitnahe Meldungen von sexuellen Übergriffen zu erhalten. Das wäre sicher einer der wichtigsten Meilensteine des strukturell und konzeptionell begonnenen Kulturwandels, der nach den Gremien auch die Pfarreien erreichen muss“, sagte Claudia Burgsmüller. Bis zu einem systemsicheren Bistum als sicherer Ort für Mädchen und Jungen, erwachsenen Frauen und Männern sei es noch ein anstrengender, innerkirchlicher und gesellschaftlicher Weg.

SicherSein: Bistum startet Informationskampagne

Da es mit dem Implementierungsprojekt zahlreiche Veränderungen, Neuerungen und Überarbeitungen gegeben hat, müssen diese nun bekannt gemacht werden. Dazu startet das Bistum Limburg mit Abschluss der Implementierung eine Informationskampagne. Sie trägt den Titel: SicherSein. Unter sichersein.bistumlimburg.de sind alle Ergebnisse gebündelt. Somit ist eine zentrale Informationsplattform für Mitarbeitende, Interessierte, Hilfesuchende und Betroffene geschaffen worden. Eine zielgruppengenaue Information ist dort einfach und unkompliziert möglich. Neben der neuen Webseite wird es Flyer, Infobroschüren, Leitfäden und andere Publikationen geben. „Für die Kampagne war es wichtig, dass die Informationen leicht auffindbar, gut sortiert und einprägsam sind. Deshalb haben wir eigens eine Bildsprache für die Plattform entwickelt“, so Söling.

Missbrauch verhindern bleibt weiter wichtige Aufgabe

Bischof Bätzing zeigte sich dankbar für den Erfolg des Implementierungsprojektes. „Als mir im Juni 2020 der Abschlussbericht übergeben wurde, sicherte ich zu, die vorgeschlagenen Maßnahmen der Expertinnen und Experten umzusetzen. Dies ist drei Jahre später größtenteils gelungen“, sagte der Bischof. Die Auseinandersetzung und der Kampf gegen sexuellen Missbrauch seien noch nicht beendet. „Betroffene zu hören und Missbrauch zu verhindern bleibt auch in Zukunft eine Aufgabe. Deshalb werden wir die Implementierungsmaßnahmen, die noch offen sind, umsetzen“, sagte der Bischof. Man werde weiter auf Information und Kommunikation hinarbeiten und habe eine entsprechende Kampagne auf den Weg gebracht.

Eine Übersicht der Maßnahmen findet sich im Internet unter: sichersein.bistumlimburg.de.

Text: Bistum Limburg/Foto: B. Fischer/Bistum Limburg