Verdun – Ort des Krieges, des Friedens und der Versöhnung

Glaubenskurs für Erwachsene besucht Gedenkstätte im Elsass–

Ein nicht alltäglicher Reisebericht

Am frühen Morgen des 02.03.2024 machten sich 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Glaubenskurses Baustein 3 mit den Gemeindebussen auf die Reise nach Verdun. Alexandra Chytry und Anne-Cathrin Hein hatten als Bausteinleiterinnen im Vorfeld auf die Bedeutung dieses Ortes im Ersten Weltkrieg hingewiesen und Leitfragen zur Reflexion über uns und unseren Glauben angeboten. Nur wie wird es sich dann wirklich anfühlen, wenn man einen Ort besucht, dessen Namen die meisten zwar aus dem Geschichtsunterricht kennen, dessen Bedeutung aufgrund der mehr als hundert Jahre zurückliegenden Ereignisse aber kaum noch richtig in Erinnerung ist?

Bereits durch die praktischen Hinweise zu Beginn der Reise wurde bewusst, dass es sich nicht um eine typische Besichtigungstour handeln wird: Wetterfeste Kleidung war angesagt, Verpflegung mitbringen, weil es tagsüber keine Einkehrmöglichkeiten geben wird. Ganz im christlichen Sinne wurde aber für alle genügend Wasser mitgenommen und dann doch für den Abend ein schönes Menu in einem kleinen Hotel angekündigt!

Dank des umsichtigen Einsatzes der Fahrer wurde Verdun pünktlich erreicht und Pierre Lehnhart, unser französischer Reiseführer, nein, besser Begleiter und Vermittler, führte uns schnell in das ein, was uns die nächste Zeit an vielen Stationen veranschaulicht werden sollte. Verdun – ein Ort und eine Umgebung als Symbol, Erklärungsversuch, Mahnmal und trotz allen Leids auch ein Zeichen für Hoffnung. In der Geschichte geht es immer wieder um Machtkämpfe, Ringen um Vorherrschaft und Unterdrückung. So auch 1871 am Ende des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich. Elsass-Lothringen wurde Deutschland zugeschlagen und damit lag Verdun plötzlich nahe der Grenze zum ungeliebten Nachbarland. Der Graben der Abneigung verlief nicht nur zwischen den Menschen beider Staaten, sondern auch innerhalb einzelner Regionen, leider auch gefördert von den christlichen Kirchen. Katholische Elsässer identifizierten sich vielfach mit dem katholisch geprägten französischen Staat, während elsässische Protestanten die Zugehörigkeit zum protestantischen Preußen bevorzugten.

Vor diesem aufgeheizten Hintergrund galt es für Frankreich, die strategisch wichtig gelegene Stadt Verdun durch unterirdische Fort-Anlagen zu schützen. Wohl deshalb führte uns Pierre Lehnhart zuerst zur Ouvrage de la Falose, einem unterirdischen Fort als Teil der Verteidigungslinie um Verdun herum, 1906 bis 1908 erbaut. Die Schlacht von Verdun drang nicht bis zu diesem Fort vor, sondern blieb etwa zwölf Kilometer entfernt auf den Hügeln stecken. Aber in diesem Fort konnte man die Angst um Belagerung und Vorkehrungen gegen einen Angriff Deutschlands eindringlich nachvollziehen.

Vor dieser Verteidigungsanlage vermittelte uns Pierre Lehnhart seine Sicht auf die Bedeutung der Schlacht von Verdun. 300 Tage und Nächte bekämpften sich zwei Nationen mit größter, bis dahin unvorstellbarer Gewalt, täglich wurden 1.000 Tote vom Schlachtfeld zurückgebracht und am Ende musste man feststellen, der Sieger dieser Schlacht war weder Frankreich noch Deutschland, sondern der Tod. Von Menschenhand herbeigeführt, um der Macht willen, keinesfalls durch den Glauben oder vor Gott zu rechtfertigen. Der Funke Hoffnung kommt daher, dass es nach diesem traumatischen Ereignis beiden Staaten gelungen ist, sich zu versöhnen, Freunde zu werden und schließlich an den Orten der größten Trauer den Opfern auf beiden Seiten zu gedenken.

Auf diese Art eingestimmt, begaben wir uns nach einem kleinen Zwischenstopp am Denkmal des Offiziers Émile Driant, der am zweiten Tag der Schlacht von Verdun verstarb, zu dem Caureswald.

Im Caureswald hatten die Franzosen bereits seit Jahren eine befestigte Stellung errichtet, während auf der gegenüberliegenden Seite über Monate die Deutschen den ungeheuerlichen Granaten- und Bombenangriff vorbereiteten, mit dem am 21. Februar 1916 die Schlacht von Verdun begann. Zum Gedenken daran werden auch heute noch am 21. Februar Kerzen aufgestellt. Bombenkrater und die verwundenen Kampfgräben zeugen von den schrecklichen Kämpfen, wie auch die relativ jungen Bäume, die zwischenzeitlich gewachsen sind. Auf dem von Granaten und Giftgas verseuchten Boden war lange Zeit keine neue Vegetation möglich.

Auf den Besuch dieses Waldortes folgte ein kurzer Stopp an einem Denkmal für verstorbene Soldaten und Offiziere. Bei aller Grausamkeit des Krieges brachen dennoch die Kontakte zwischen den verfeindeten Menschen nicht ganz ab. Das veranschaulichte uns Pierre Lehnhart dadurch, in dem er Alexandra Chytry einen Brief einer deutschen Frau an die französische Witwe eines Soldaten vorlesen ließ.

Der weitere Weg führte uns auf den Friedhof Azannes, einer der Soldatenfriedhöfe, von denen es um Verdun 40 für französische und 29 für deutsche Soldaten gibt. Trotz dieser hohen Anzahl konnte es nur einem geringen Teil der getöteten Menschen vergönnt werden, ein christliches, jüdisches oder später auch muslimisches Grab für die letzte Ruhe zu erhalten.

Die nächste Station bildete der Ort Bezonvaux, besser gesagt das, was es von dem Ort nicht mehr gibt. Durch den großen Granatenhagel wurden neun Ortschaften vollständig dem Erdboden gleichgemacht. Wegen der Verseuchung und der vielen tausend Blindgänger wurde es den wenigen Überlebenden untersagt, die Orte wiederaufzubauen. „Villages détruits“, zerstörte Dörfer, werden sie genannt. Jedem dieser Orte hat man wenigstens eine kleine Kapelle geschenkt, wo sich jährlich Menschen zum Gedenken treffen. In der Kapelle von Bezonvaux feierten wir einen sehr schönen Gottesdienst und konnten uns besinnen und innehalten.

 

 

 

 

 

 

 

Den Abschluss der Tour am ersten Tag bildete die Besichtigung des Fort Douaumont, die größte Wehranlage in dem Fortgürtel um Verdun herum. Auch dort nahmen wir weitere Eindrücke über die Kriegszeit und Lebensumstände der Menschen mit, eindrucksvoll aus Originaltexten von Anne-Cathrin Hein vorgetragen.

Nach diesem ereignisreichen Tag ließen wir den Abend mit einem gemeinsamen Essen ausklingen. Für jeden waren viele Eindrücke zu bewältigen.

Am Sonntag starteten wir frisch in den zweiten Teil der Exkursion und nahmen uns Zeit zum Besuch des Mémorial de Verdun, Museum und Gedenkstätte. „Mehr als ein Museum zum Ruhme der französischen Krieger zeugt es von den gemeinsamen Mühen der französischen und deutschen Soldaten.“ – so das Zitat von Serge Barcellini, ehemaliger Generalinspizient der französischen Armee. 1961 eröffnet, wurde es bis 2016 zum 100. Jahrestag der Schlacht von Verdun renoviert, diesmal von Frankreich und Deutschland zusammen und so auch gemeinsam von Angela Merkel und François Hollande neu eröffnet.

Die nächste beeindruckende Station der Reise war die Besichtigung des Gebeinhauses in Doumaunt als Ruhe- und Gedenkstätte für 130.000 nicht identifizierte Gefallene. In dem Gebäude wird zudem Verschollenen durch Anschrift ihrer Namen ein Gedenken gewährt. Lange Zeit nur Franzosen vorbehalten, war an diesem Ort der Händedruck von François Mitterand und Helmut Kohl 1984 ein Meilenstein der Versöhnung.

Bis 2016 dauerte es jedoch noch, bis Angela Merkel und François Hollande in den Hallen des Gebeinhauses eine gemeinsame Inschrift enthüllten und seitdem nun auch für deutsche Gefallene ihre Namen im Gebeinhaus angebracht werden können. In dieser besonderen Umgebung ließ uns Pierre die Worte von Erich Kästner vortragen aus dessen Gedicht „Verdun – viele Jahre später“. Daraus eine Strophe:

 

Auf den Schlachtfeldern von Verdun

wachsen Leichen als Vermächtnis.

Täglich sagt der Chor der Toten:

„Habt ein besseres Gedächtnis!“

Den Abschluss der Fahrt bildete die Vauquois, eine Anhöhe, die von Deutschen und Franzosen heftig umkämpft wurde. Die Deutschen hatten auf der Anhöhe von oben eine Tunnelanlage errichtet, während die Franzosen vom Fuß des Hügels aus Tunnel hineintrieben, um die deutschen Tunnelanlagen zu untergraben und zu sprengen. Die noch erhaltenen Anlagen verdeutlichten eindringlich dieses sinnlose Töten.

Nach diesen ereignisreichen Besuchen, von den beiden Bausteinleiterinnen toll organisiert und unter der kundigen Anleitung von Pierre durchgeführt, traten wir als Gruppe mit vielen Eindrücken unsere Rückreise an.

Wie hat sich die Fahrt nun angefühlt? Seit Verdun gab es den Zweiten Weltkrieg und viele weitere Kriege und Auseinandersetzung bis aktuell zum heutigen Tag. Rassismus und Rechtsextremismus flammen schrecklich auf. Wir sind nicht außen vor. Erich Kästner Worte mahnen weiter: „Habt ein besseres Gedächtnis“.

Text und Fotos: Dieter Zöll